Andi Meier über "Tempelhoven"

.
.
.
TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

Marcel: Es ist ja bei allen Stadtentwicklungssachen, Comictheorie, Intention usw. jetzt ein bisschen was noch übriggeblieben. Und zwar geht’s letzten Endes auch um ne Liebesgeschichte. Was hat’s denn mit der auf sich?

Andi: Die? Die mauschelt so bisschen mit, ne? Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass sich die beiden am Ende haben.

M: Warum denn das?

A: Na, so klassisch: Hey, das war ein schönes Abenteuer. Mensch, ham wir viel erlebt. So Titanic-mäßig – gut, die sterben am Ende, Scheißvergleich – aber so: Wir sind durch ne Katastrophe gegangen, jetzt sind wir ein Paar. Das wollte ich tunlichst vermeiden, weil das so ne gängige Sache ist. Wenn man das anliest, denkt man vielleicht schon auf Seite 30, 40: ja, die beiden kommen zusammen. Und ich lass das aber offen...

M: Aber da gibt’s doch diese eine Szene? Die Auslassung ist sozusagen schon die Bejahung. Wie ist denn das Ende? Ich dachte, sie haben sich. Haben sie sich nicht?

A: Na ja, sag mer mal so: Sie zieht ihn dann von der Couch und geht mit ihm auf den Hof zum Feiern. Und zwinkert ihm noch so zu, so bissel ne Mischung aus Freundschaft und Verbindung.

M: Das ist einfach klar.

A: Also man sieht die am Ende nicht Arm in Arm am Feuer sitzen und sagen, sie sind jetzt happy together all forever. So, das isses nicht. Und ich würde auch sagen, die Nummer mit dem Zelt – die sind einfach mal, weiß ich nicht, aus Kälte und Gewohnheit und menschlicher Zuneigung aneinandergerückt. Es geht um Nähe. Schlafsack, es ist kalt, man rutscht zusammen, man wacht so auf und: OH! Whoa, wasn das? Und so.

M: Das ist eigentlich total liebevoll, so eine Annäherungsgeschichte.

A: Dass die dann so: Oh, entschuldige, ahhh.... Und dann redet man: Sorry, jeder ist doch auf seiner Seite wach geworden... Und dann kommen sie eben ins Gelaber...

M: Der erste Erzählimpuls, haste gesagt, war: Zurück ins Leben nach ner schweren Trennung. Da liegt ja die Vermutung nahe, du hast dir da sozusagen nen zweiten Frühling herbeigezeichnet.

A: So ungefähr. Ich hab mir jetzt nicht irgendwie ne Freundin an die Backe gezeichnet, sondern ne Begleiterin irgendwo hin. Es ist tatsächlich so, dass ich schon gut gezeichnete Achtziger-/Neunziger-Werke unter meiner Nase hatte, wo man merkte: Der Zeichner, der muss doch irgendwie ’n gealterter Typ sein mit Minderwertigkeitskomplexen, weil die Hauptfigur ist so ein derber, wahnsinniger, nach fünf Seiten alle Frauen habender Typ – aber der macht ja gar nichts weiter. Da kuckst du dir die Bilder an – und da denkste dir so: okay. Es gibt so’n paar Belgier, Franzosen, die ziehen das so durch. Da sind immer junge Weiber. Und da denkste so: Ja, da is irgendwas, da stimmt was nicht.

M: Vielleicht noch mal ne allgemeinere Frage: Was kann Comic generell? Als Unterhaltungsmedium auch, als aufklärerisches, journalistisches, als Geschichtenerzähl-Medium.

A: Der Comic ist ein Medium, da machste dir ’n Bierchen oder ’n Weinchen auf, schmeißt dich in deinen Sessel und hast das in drei Stunden durch. Und dann lässt du deinen Kopf zurück mit den Bildern. Also in der Zeit, in der wir jetzt leben, und da red ich jetzt von den letzten zehn Jahren, wie Comic auch in Deutschland immer mehr Ansehen gewinnt, hat Comic die Möglichkeit, lesefaulen Menschen visuell auch schwerwiegende Themen rüberzubringen. Es sind von Fidel Castro bis Kurt Cobain bis Johnny Cash Autobiografien als Comic zu haben. Da greift man eher mal zu, als wenn man sich so’n Schinken holt. Ich zum Beispiel bin ein extrem optischer Typ. Ich mag auch mal ’n Buch lesen, aber ich brauch ein paar Bilder dazu. Neulich habe ich einen Comic gelesen: Ein siebzehnjähriger Junge erzählt seine Sicht auf die Verschleppung von sich und seinen Eltern ins Gulag in den 50ern. Das ist bittrer Tobak, und das ist auch bitter krass gemalt, und es war auch richtig hart, also... Ein anderer meiner Lieblingscomicautoren ist Guy Delisle. Dieser Typ, dessen Frau bei Ärzte ohne Grenzen arbeitet, schnappt sich quasi das gemeinsame Kind, reist seiner Frau hinterher an die schwierigsten Orte dieser Welt, kümmert sich ums Kind und malt dabei sein Skizzenbuch voll. Er hat mittlerweile mehrere großartige Werke rausgebracht. Er erzählt immer von den Gegebenheiten, so tagebuchmäßig, wie es ist, in der Hitze oder in den komischen Gegebenheiten sein Kind durch die Gegend zu schubsen, und was er so beobachtet, wie die Menschen leben. Und „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ – wenn du dieses Buch durchliest, dann bist du in Jerusalem gewesen. Hast du dieses „Pjöngjang“ durchgelesen, warst du in Nordkorea. Das ist das, was Comic schafft.

M: Gibt’s noch weitere Vorbilder?

A: Ich mag nach wie vor diese Phantasy-Sparte, die ich jetzt zeichnerisch selber gar nicht bediene. Und da gibt’s diesen Franzosen, Loisel heißt der. Der hat unglaubliche Welten kreiert und dieses Phantasy-Epos in den Achtzigern schon angefangen. Auf wahnsinnig hohem Maßstab hat der Welten entwickelt, da kannste dich richtig reinträumen. Und ansonsten solche Dinger, wo du dranbleibst wie bei so ner US-Serie mit nem Cliffhanger, wo du sagst, Scheiße, wie geht’s denn jetzt weiter und so. Die amerikanische Vertigo-Reihe, Vertigo-Panini-Reihe. „The Last Man“, „DMZ“, und in letzter Instanz auch Kirkman mit „Walking Dead“. Der Comic, nicht die Fernsehserie. Im Comic ist noch viel mehr Tiefe drin, was eigentlich Menschheit bedeutet, nachdem die Zivilisation zusammengebrochen ist.

M: Das berührt das Sujet, was du in „Tempelhoven“ auch beackerst. Es erinnert in der Hinsicht zumindest auch an „DMZ“, obwohl „DMZ“ keine Ironie kennt, nicht lustig ist...

A: Gar nicht lustig ist. Und absolut realistisch nachvollziehbar und möglich. Wenn dus so siehst, ja. Es gibt ne alternative Parallelgesellschaft, im Grunde genommen ist das ne Insel. Bei Tempelhoven geht’s aber eher um den Weg dahin. Wenn es denn mal zum Teil 2 käme, wäre das Naheliegendste, sich dort ein bisschen länger aufzuhalten.

M: Es ist nichtsdestotrotz der Titel. Also wofür steht der Titel?

A: Der Titel steht für das, was bleibt. Von dieser völlig flappsigen kleinen, lustigen, albernen Katastrophe bleibt durch Missverständnisse und einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde – durch eine merkwürdige Verkettung von Ereignissen bleibt Wohnraum für Tausende Menschen auf eigener Politikbasis. Wer weiß, was da noch kommt, soweit hab ich nie gedacht. Aber ich ende ja damit, dass sie bleiben dürfen. Und es fühlt sich so an, als wäre das dort irgendwie machbar, friedlich, non-kapitalistisch, weiß der Geier.

M: Danke, Andi.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

"Tempelhoven" Vorschau

COMIC kaufen? Hier klicken.
Login  •  Built with Seedbox