Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten

Marcel: Unabhängig von der Hauptstory spielt in "Tempelhoven" gerade die Stadt ne relativ große Rolle, auch die Veränderungen in ihr. Es gibt ein Vorher-Nachher, und es ist ein Moment abgebildet, in dem Stadtentwicklungsprozesse ein ziemlich großes Thema sind in den Medien.

Andi: Im Großteil geht’s irgendwie darum, dass sich durch ein gewisses Ereignis und durch Missverständnisse zufällig ein Freiraum ergibt. Es geht auch um eine gewisse Wagenburgromantik. Obwohl ich weiß, da gibt’s auch ne Menge Spießigkeit, da gibt’s auch zu viel Plenumscheiße, da gibt’s auch Nachbarn, die sich hassen. Aber es hat für mich immer noch so einen Hauch von Freiheit, und es ist ein kleiner rebellischer Drang, zu wissen: Hey, es gibt so viele Flächen in dieser Stadt, wo man das einfach zulassen könnte, dass Menschen so leben. In einer Zeit, wo sich Hochschwangere um Wohnungen kloppen mit nem Quadratmeterpreis von 11 Euro... Vielleicht muss mal irgendwas Krankes passieren, damit man diese Flächen freigibt, sonst ist diese Stadt in 20 Jahren so interessant wie Gießen nach 23 Uhr.

M: Im Comic werden die Entwicklungen angedeutet, die dieser Euphorie Steine in den Weg legen. Stichwort Gentrifizierung, steigende Mieten...

A: Ich wollte mal NICHT das machen, was überall gemacht wird. Jemand, der selber Zugezogener ist, wie ich, sollte mal schön die Fresse halten, selbst wenn ich jetzt zehn Jahre hier lebe, bin ich noch längst kein Berliner. Vielleicht werd ichs auch nicht für immer sein. Aber ich wollte NICHT machen, dass ich von außen erzähle, wie blöd die alle sind und mit ihrem Geld den Prenzlauer Berg verändern oder so. Ich hab mal die Gentrifizierenden selber zu Wort kommen lassen. Indem ich sie quasi dort in ihrer komischen Ratshalle hab reden lassen. Und ihre Motive selber aussprechen lassen. Wie zum Beispiel: Ja, es ist langweilig gewesen, es ist sicher gewesen, mein Leben in Süddeutschland, es hat nen Haufen Geld gegeben, Papis Firma hätt ich erben können, ich hätt das Reihenhaus behalten können. Aber mir fehlte so bissel das Rebellische, und dann lese ich von einer zugeschissenen klebrigen Stadt, in der es total hip ist, zu leben, die Mieten sind n Witz, also zieh ich da hin, nehm noch meinen Nachbarn und meine besten Freunde mit und verändere die ganze Welt dort. Ne? Tu so nach außen, als wäre ich der total hippe Typ, bin aber eigentlich n ganz spießiger Typ, der abends gern mit seinem riesigen Pfefferhobel da irgendwo selber kocht und hier und da und Gated Community und so. Der Widerspruch, dass ich quasi in die freieste und geilste Stadt der Welt ziehe und dann das ganze Geld zusammenschmeiße und mit Leuten Brachen kaufe und dann irgendwo mit Wachschutz eingemauerte Miniwelten baue. Was so paradox ist inner Stadt, die gerade ne Mauer eingerissen hat. Die baun sich ja selber kleine West-Berlins in Ostberlin. Wo nicht jeder rein darf. Man kann das im Comic flappsig finden, das Ding ist jetzt nicht hyperintellektuell, aber es gibt hin und wieder mal n paar Seitenhiebe, da bin ich sehr stolz drauf.

M: Aber diese Leute, die du in ihren kleinbürgerlichen Träumen und Motiven so abbildest und selber zu Wort kommen lässt, die kommen trotzdem nicht besonders gut weg. Es sind jetzt keine sympathischen Helden.

A: Sie sind keine sympathischen Helden. Sie sind stinknormale Leute. Aber ich lass jetzt auch an niemandem besonders viel Heldenhaftes oder so. Als die Handys und das Internet und so, als das alles wegfällt, da steht ein Großteil als Idioten da. Und am heldenhaftesten und am individuellsten sind dann die, die dann alle aufs Feld marschieren und ihr eigenes Ding machen.

M: Und wieso sind die Kleinbürger Süddeutsche?

A: Ich musste auf Klischees reiten, weil die Welt aus Klischees besteht. Wenn du Weihnachten durch den Prenzlauer Berg gehst, da gibt’s Plakate: Vielen Dank, dass ihr alle zu Hause seid und für die Parkplätze, liebe Süddeutsche, und so. Ganz ehrlich gesagt, ich wollte mit dem Comic nicht die Welt retten, aber ich hab nun mal Süddeutsche genommen, weil es nun mal irgendwo das Klischee ist, und uns ist allen klar, dass es auch Niederländer, Mexikaner, Spanier, Dänen sind, die in der ganzen Stadt Wohnungen kaufen. Und jedes einzelne Pärchen ist wahrscheinlich auch keine Kombination aus schlechten Menschen. Aber ich lebe jetzt z.B. in so einer Eigentumswohnung, die einem Doktor gehört, und der hat glaub ich acht bis zwölf Wohnungen. Wir haben die Wohnung nur, weil die Tochter des Doktors Lichtenberg bisschen zu weit weg von Mitte empfand. Und wir haben im Haus zwei Pärchen kennengelernt, die sind innerhalb des letzten Dreivierteljahres beide weggezogen, wegen Eigenbedarf. Das passiert um uns rum. Ja?

M: Na gut, Eigenbedarf ist ja legitim. Das Problem ist eher Spekulation.

A: Ja, und das gabs vor Kurzem auch, eine Straße weiter wurde vor Kurzem protestbesetzt, in einer der schönsten Straßen, wo so Zweigeschosser stehen aus der Kaiserzeit. Stand plötzlich so ne Traube Menschen mit Transparenten. Hab ich erst später festgestellt übern RBB, dass genau diese gesamte Etage leersteht. Zum Spekulieren. In diesem Kiez reißen sich die Leute um Wohnungen und bieten sich dumm und dämlich. Und währenddessen stehen Wohnungen leer, wegen Monopoly.

M: Nochmal kurz, damit man das abgehandelt hat – Siehst du die Gefahr, dass das auch ein bisschen Ressentiments bedient: Die reichen Süddeutschen nehmen uns die Wohnungen weg?

A: Ja, die Gefahr besteht natürlich. Was ich da gemacht hab, ist so ein bisschen wie der Polenwitz mit dem Klauen. Ja. Ich bin aber irgendwie hintendran auch nicht mehr so auf Kriegsfuß, was die Story betrifft. Weil ja gegen Ende der Spross dieser Menschen – die kriegen ja alle Kinder hier – und Kinder rebellieren gewohnheitsgemäß gegen ihre Eltern. Und was wird aus denen, wenn sie den Träumen ihrer Eltern hinterherreisen? Entweder kommen sie zurecht oder sie fühlen sich ein bisschen überfordert: Was will ich hier, wer werd ich, wer bin ich, wo geh ich zur Schule, wo will mich meine Mutter zur Schule haben? Ne? Muss ich das und das machen, damit sie denkt, ich bin karrierefähig oder so? Was macht das mit den Menschen? Und genau darum geht’s am Ende. Weil im Grunde genommen sind gegen Ende dieser Story die Eltern, die nach Berlin ziehen, gar nicht mehr wichtig, sondern die Kinder, die da bleiben müssen.

M: Die dann wahrscheinlich in die Wohnungen einziehen, die aus Eigenbedarf freigeklagt wurden...

A: Genau.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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