Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 5: Über die Kunst, in einem einzigen Bild eine ganze Geschichte zu erzählen. Und so weiter

Marcel: Ich möchte dich noch zu deinen künstlerischen Anfängen befragen. Damals in Dresden hast du angefangen, zur „Bunten Republik Neustadt“ – dem früher mal alternativen Stadtteilfest „BRN“ – wimmelbildartige Poster zu zeichnen...

Andi: Das ist im Grunde genommen ähnlich wie bei dem Comic und Berlin. Dass man irgendwann feiernd, saufend, rauchend in der Neustadt lebt und sich als Teil eines Großen gesehen hat, aber wenn man mal ganz ehrlich in den Spiegel gekuckt hat: So ein kultureller Beitrag war man nie. Man war einfach Bewohner. Ne? Indem du irgendwie vor der Scheune sitzt und eins nach dem andern kippst, bist du noch lange nicht ne Subkultur. Und deswegen war nach eins, zwei, drei BRNs, wo man sich ordentlich die Leberwerte runtergeschossen hat, irgendwann in mir das Gefühl aufgekommen: Hey Moment mal, ich bin Neustädter und ich will da was machen. Es ging gar nicht so sehr um den Fame. So ein bisschen auch mit, aber ich wollte einfach mal etwas dazu beitragen. Ich kann kein Instrument, ich kann nicht gut kochen, ich hatte keinen Stand oder konnte irgendwas kulturell bieten. Ich konnte malen. Und was kann man malen? Ja, ich wollte jetzt nicht irgendwelche Kinder bemalen. Das hab ich dann irgendwann zwischendurch auch gemacht, ja. Aber ich wollte mitteilen, dass der Quark in meinem Kopf auf ein A2-Blatt passt und dass ich es schaffe, mit kleinstem minimalistischen Bullshit auf einem Plakat die gesamte BRN runterzupressen. Niemand gab je zeichnerisch wieder, was da Krankes alles zwischen den Gassen stattfindet. Ich wollte Impressionen aus BRN- und Neustadtleben zusammenknietschen, und das Ding war der totale Renner. 2006.

M: Das Faszinierende daran ist: Du schaffst das in einem einzigen Wimmelbild – so viel dokumentarische Authentizität reinzustecken, mit Metaphern, mit emblematischen, ironischen Kommentaren. Dann zeichnest du da auch so Debatten rein, wie damals diesen Streit um die Ampeln auf der Louisenstraße, ob die gebaut werden sollen oder nicht, ob die Parkuhren hingestellt werden sollen oder nicht...

A: Im Nachhinein ist das so ein bisschen... Jetzt so nach zehn Jahren Berlin sind das so typische Dresdner Kleinkriege, wo ich denke: Das ist lustig, ne?

M: Das hat nen dokumentarischen Wert. Es ist sozusagen, wenn man es so lesen will, irgendwie ne journalistische Herangehensweise. Du hast dir das aber wahrscheinlich nie als Methode überlegt, sondern es hat sich so intuitiv hingeschaukelt...

A: Das war der Zeitgeist. Die Brücke. 2007 wars die scheiß Brücke.

M: Die Waldschlösschenbrücke. Dann dieser Lebensstil, der ja auch ein bisschen dekadent ist.

A: Dann gabs noch die Alkopop-Debatte und den Jugendlichen, der sich woran sonst nu totgesoffen hat. Und dann gabs die Spätshopschließung, und zu viele Döner...

M: Und alles findet sich sozusagen in einer großen Komposition. Und das ist in meinen Augen die Herangehensweise oder der Blickwinkel, der sich jetzt auch in dem Tempelhovenbuch niederschlägt.

A: Genau, ich wollte alles runterballern. Das würd ich gern mal wissen: Wie geht es jemandem, der das Ding noch nie gelesen hat.

M: Ich glaube, es ist ein bestimmtes Klientel, was damit angesprochen ist. Leute, denen du lifestylemäßig auch sehr nah bist, oder die mit dir sehr nah sind, und die das ne Weile begleitet haben. Also vielleicht für Leute, die beteiligt sind und selber kein Tagebuch geschrieben haben. Die finden das da noch mal in ne Form gegossen. Und jetzt muss sich erst mal zeigen, inwieweit das sozusagen generalisierbar ist.

A: Jetzt wo dus sagst – es hat mal jemand reingekuckt, gute Freunde von uns. Die haben da südlich vom Tempelhofer Feld gewohnt, wir haben rübergekuckt, und dann kam irgendwie die Idee, die ich jetzt nicht verraten kann, weils ja der Aufhänger ist. Und die Freundin sagte: Mensch, das ist aber verdammt viel Schrift. Das ist auch immer der Hauptkritikpunkt, bei Comic überhaupt. Mir haben Redakteure schon gesagt zu meinen Comics: „Der letzte war geil, der hat einfach geknallt, da musste man nicht viel lesen und das Ding hat sofort gefunzt.“

M: Ich teile das ja gar nicht, die Angst vor Schrift, ne?

A: ...ja, das sieht man an deinen Werken, dass du die Angst vor Schrift nicht hast...

M: Es heißt immer: Das muss alles viel kürzer werden. Und das find ich natürlich nicht so, gerade nicht, wenn man das Medium auch journalistisch nutzen will.

A: Und ich brauch die ganze Schrift, um den gesamten Plot von vorne bis hinten zu erklären.

M: Nun will ich aber nicht so weit gehen, zu sagen, dein Comic sei ein journalistisches Erzeugnis.

A: Nee, isses nicht.

M: Für Grafik- oder Comicjournalismus ist „Tempelhoven“ zu fiktional. Es ist auch kein Gonzo-Journalismus in dem Sinne, obwohl es diese Elemente hat, aber es ist sehr konstruiert und verdichtet. Aber das ist das, was für mich Kunst ausmacht, wo Realität in die Werke fließt, egal obs Filme sind, Comics, Romane, whatever. ABER der Comic an sich hat ein Legitimitätsproblem. Wir, also du und ich, bewegen uns ja auch in nem Milieu, in dem es viele akademisch gebildete Künstlerinnen und Künstler gibt, also mit Kunstdiplom, und die haben andere ästhetische Ansprüche. Dieser Kritik setzt sich jetzt dieses Buch ein bisschen aus.

A: Eigentlich Neunziger, ne? Ich bin eigentlich jemand, der ein Comicgenre bedient, das gar nicht mehr aktuell ist. Dass ich nicht an einer Kunsthochschule studiert hab, hat mir aber nie Selbstbewusstseinsstörungen verursacht. Ich hab, wie gesagt, höchstens mal das Gefühl, dass ich jetzt eine Generation bediene, die... – Na ja, es ist leichte Kost, was ich da gemacht hab.

M: Es IST nicht so leichte Kost. Es kommt ein bisschen flappsig daher, aber es sind schwere Themen drin, die sind aber auch nicht so inhaltsschwanger depressiv verarbeitet, wie das vielleicht ein linker Aktivist tun würde.

A: Weil ich das nicht kann. Weil ich einfach auch mit nem leichten Sarkasmus überlebe immer. Ich hab den Comic so erzählt, wie ich jetzt am Lagerfeuer bin, wahrscheinlich. Einfach weil ich... Wenn ich gewisse Sachen nicht verstehe, dann übertünch ich das ein bisschen mit Humor.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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