Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet

Marcel: Andi, dein Comic "Tempelhoven" ist fertig.

Andi: Die Kisten sind auf jeden Fall ein wunderschönes Möbelstück in meinem Wohnzimmer. Das sich hoffentlich von selbst reduziert...

M: Kannst ja solange ein Batiktuch drüberhängen. Erzähl mal, worums geht.

A: Zwei bisher anonym nebeneinander wohnende junge Menschen begegnen sich dadurch, dass in Berlin was Komisches passiert ist, etwas Unerklärliches, Merkwürdiges. Die beiden machen sich von Lichtenberg über Mitte bis nach Tempelhof auf den Weg, aus Sensationsgier.

M: Du hast seit 2012 dran gesessen?

A: Die Geschichte kam mir in meiner letzten Wohnung in der Küche beim Blick aus dem Fenster. Ich hab mirn A4-Blatt von so nem College-Bogen genommen und hab wie son Fünftklässler, der das erste Mal Geometrie hat, einen Strahl aufgemalt und ein paar Stationen der Geschichte eingetragen. Es ist nach fünf Jahren so zu 80 Prozent das geworden, was es von Anfang an sein sollte.

M: Hat es in irgendeiner Weise eine dokumentarische Dimension?

A: Ja hats. Ich hab vorher ein paar Zeichnungen gemacht von Berlin, Stadtansichten. Ich hatte lange vorher nix gemacht, und das hatte auch irgendwie therapeutischen Charakter. Ich war gespannt: Zieh ich das durch, krieg ich das hin, wird dasn Knaller, wo geht die Reise hin?

M: Was meinst du mit therapeutischem Charakter?

A: Na ja, damals war ich mit Trennung und Umzug und erstmal ziemlich mit Kind und mit mir selbst beschäftigt. Ich brauchte irgendwie mein Hobby zurück. Und dieser Drang, diesen Comic zu machen, wo durch irgend ne Stoffwechselstörung diese Story in meinen Kopf schoss, wo mir sofort die ersten zehn Seiten erschienen und ich merkte: Okay, das wird was Längeres – dem Drang wollte ich sofort nachgeben. Einfach auch, um ein bisschen runterzukommen. Das war auch eine Versöhnung mit der Stadt, in die ich 2008 gezogen bin. Ich hatte quasi mein Party-Jugendleben in der Dresdner Neustadt beerdigt und bin als Vollzeit arbeitender gestresster Papa in eine Berliner Gegend gezogen, die so scheiße langweilig war, dass da sogar Spätis dichtgemacht haben. Und in der neuen Wohnung fing ich mich jetzt wieder ein. Mit ein paar Leuten.

M: Und Zeichnen war da ein Weg...

A: Ich hab bei einer Freundin gesehen, wie sie quasi als überlastete alleinerziehende zweifache Mutter sich abends hinsetzte und auf irgendwelchen billigen Bögen mit billigen Kohlestiften und wesentlich weniger Geld als ich einfach sich die Zeit nahm und nachts bis zum tief Müdewerden ihr Unwohlsein rauszeichnete. Ich kuckte ein bisschen neidisch auf ihre Bögen und diese Masse von Sachen, diesen dadaistischen, expressionistischen, wahnsinnig interessanten Kram, den die da einfach zeichnete. Und das absolut null profitorientiert. Und das hat mich da irgendwie wieder hochgeholt. Es ging los, dass ich im Skizzenbuch kleinere Comicstrips zeichnete, und Körper und Geist bewegten sich quasi in diese Phase rein, in der schließlich „Tempelhoven“ entstand.

M: Das heißt, du musstest erst wieder auf dein altes Hobby Zeichnen gestoßen werden?

A: Na, du kennst ja das Leben, das wir da in Dresden hatten. Das war eines der leichtesten, die man haben kann, und das war mit der Elternschaft und dem Umzug nach Berlin mit einem Schlag vorbei. Ich merkte auch so ein bisschen, dass das Zeichnen gestorben ist durch meinen dauerhaften Job als Zeichenlehrer. Nach zehn Jahren kann ich jetzt aber sagen: Es hat mich geistig beflügelt, in dieses kranke, dreckige Loch Berlin zu ziehen. Weil, hier gehst du halt einfach 500 Meter und erlebst von Gründerzeit, Schrottecke, sozialistischer Profanbrutalobau bis hin zu langweilig, bis hin zu krachig, wie als würdest du so einen Erlebnispark ablaufen. Das hatte mit dieser durchgestylten Schönheit von Dresden nicht viel zu tun. Als Zeichner kannst du damit ne Menge anfangen. Und da fing ich dann an, meine Umgebung, Lichtenberg, Friedrichshain, Brandwände zu zeichnen. Es gibt nichts Hässlicheres als Brandwände, aber was darunter geschieht, mit Street Art, wo da alles in den Ecken Kunst entsteht, oder wo sich da einfach Leute hinsetzen und nen Kaffee genießen, das konnte ich mir als Neuberliner gar nicht vorstellen. Dass sich Leute unter Gerüste neben Bagger setzen und nen Latte schlürfen. Das hab ich irgendwie versucht, in Bilder festzuhalten.

M: Das hat deinen dokumentarischen Ehrgeiz geweckt, da in so einer urbanen Transitlandschaft zu sitzen, die voller Veränderungen ist?

A: Ja. Ich gehe jetzt mal vor die Haustür und laufe in irgendeine Richtung, Kreuzberg, und lande im Tempelhofer Feld, und dabei erlebt man ne Menge Kaputtes, ne Menge Schönes, ne Menge Musik, ne Menge Merkwürdiges, aber auch irgendwie... Du kommst nach Hause und hast den Kopf voll. Und es ist nicht wie ein schöner Spaziergang entlang des Rheins oder sowas. Und bevor ich abnippel, wollte ich, dass es ein Buch gibt. Ich wollte mich einfach auch mit meiner neuen Stadt befrieden und was über die erzählen. Und die auch mit ihrer Selbstzufriedenheit nicht immer als die beste dastehen lassen.


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-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

"Tempelhoven" Vorschau

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