Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo

Marcel: Beschreib mal die Wohnung, die der Ausgangspunkt deiner Geschichte ist. Das ist ja nicht dieselbe Wohnung, von der du zuletzt gesprochen hast.

Andi: Das ist die Hauptstraße 1i, gut, dass dus sagst. Ich wollte damals zusammen mit meiner guten Freundin und Nachbarin, der Frau mit der Waschmaschine und die mit mir im Hof saß und Gespräche geführt hat über Liebe und Leid, wir wollten einfach mal so bisschen unser rottiges Haus hypen. Die Zeit war auch damals sehr schnelllebig. Die ersten coolen Leute, WGs, da Party, da Party, wir haben sehr viel gemacht. Die ersten sind auch wieder weggezogen, neue sind dazugekommen. Einen Teil wollte ich davon handeln lassen, dass wir da eigentlich ne schöne Zeit haben, lustige Nachbarn sind und son ziemlich lustigen Kosmos bedienen. Das Haus steht quasi wie n Ufo in irgendeinem Nachwendebrachbereich südöstlich vom Ostkreuz und kommt einem bisschen so vor, als wär das dort nie gebaut worden, sondern über Nacht gelandet. Und das machts so bisschen gruslig, sympathisch, aber auch so bisschen lächerlich. Und ich bin da als Dresdner früher als Pendler immer mit dem Auto dran vorbei, jeden Donnerstag früh um acht. Kuckte müde und satt und sauer wegen der Autobahn und wegen meiner Pendelei raus aus dem Fenster auf dieses Haus und dachte mir: Welcher Idiot wohnt denn so?

M: Und wie biste dann selber da hin?

A: Na ja, ich bin Papa geworden, bin nach Berlin in eine Wohnung in Pankow gezogen, Pankow war schrecklich, also sind wir runter nach Lichtenberg, dann ist die Beziehung zerbrochen, und ich brauchte dringend eine Wohnung. Es hieß: Pass mal auf, da unten sind WohnungEN frei. Irgendein Investor hat mit EU-Geldern die Buden gekauft, such dir eene aus. Ich bin in das Haus, und es waren 17 Wohnungen frei. Ich bin als erster hingerannt, bin durch die Wohnungen gestürmt und hab mir erstmal ganz schnell überlegt: Okay praktisch, erster Stock ist cool, ist nicht so bodenkalt wie Erdgeschoss, nicht zu hoch mit Kind und Kinderwagen und Kohle schleppen, okay machste ersten Stock, kuckst mal aus dem Fenster, sorgst dafür, dass ringsrum Rentner wohnen, da wird nicht so viel gefeiert, okay ich nehm die hier 1i und so, geh ich mal schnell in die Küche, schnapp mir die Bewerbungsunterlagen und vernichte den Rest. Also war ich der einzige Bewerber für meine Wohnung.

M: Wieso waren da so viele Wohnungen frei?

A: Das Haus war zum Abriss und Leerstand freigegeben, und dann kam halt irgendwer und hat mit EU-Geldern diese Ruine gekauft, schlampig saniert und wieder freigegeben zu, na ja, erst großen Preisen, dann wurden die immer horrender.

M: Mit Kohle?

A: Mit Kohle. Und undichten Fenstern. Und ganz dünnen Wänden. Das Ding hatte einfach mal nur Sympathiecharakter, weil wir fanden uns irgendwie ne Mischung aus lustig und assi. Und jung kannst du das noch machen, und ich war der einzige mit nem Kind da drinne, und das hatte irgendwie was Exotisches, weil wir hatten irgendwie so alle Freiheiten. Und dann wurde das aber immer beschissener. Es gab Staffelmietverträge, und die wurden immer teurer, also musste ich da weg. Und so nach und nach ging es allen, und so war die Partyblase und das Nachbarschaftsgefüge halt dann auch irgendwie tot. Wir waren keine Community, die gekämpft hat oder so. Wir waren einfach nur zufällig aneinandergereihte, sich treffende Nachbarn, und wir hatten ne schöne Zeit. Ich wollte das bissel im Comic wiederhaben. Ne?

M: Du hast Schwein gehabt. Aber die Leute waren auch schon so um die 30?

A: Ich zumindest, die anderen waren vielleicht so 25. Und da kam natürlich ne Menge Potenzial zusammen. Weil, wer macht denn das? Ich meine, das machen keine Sauberkeitsfanatiker, sich mal so ne Wohnung zu geben, wo du mit Kohle heizen musst. Was sindn das? Das sind halt Punks und Hippies und Elektroschrauber und so, die da reinziehen. Und die mit einem Schlag da zu haben, war schon sehr witzig. Weil, man brauchte nicht lange, um sich kennenzulernen, und dann plötzlich war man ein ziemlich bunter Haufen im Hof. Das hatte schon Spaß, da hatte ich plötzlich mein Leben zurück. Ich fühlte mich nicht mehr so eingeglast zwischen Windelnwechseln und nachts Spazierengehen mit dem Kleinen. Es war einfach wieder so bissel Leben da, an dem ich auch meinen Sohn mit beteiligen konnte. Und wenn er müde war, bin ich in den ersten Stock und hab ihn ins Bett gelegt. Weißte? Das war wie son: Danke, dass es weitergeht.

M: Für mich hat dieses Haus auch ne extreme Symbolkraft. Vielleicht, wenns auch jetzt pathetisch klingt, für unsere Generation oder so. Es war halt ein freistehendes Haus. Warum wars freistehend? Es war freistehend, weil Kriegsschaden.

A: Ich habs gelesen im Stadtmuseum: Die Hauptstraße 1g, h und i ist quasi der letzte hohle Zahn von einem riesigen langen Riegel, der vom Wasserturm Ostkreuz Kynaststraße bis vor zum Norma ging. Es war ein einziger langer Riegel, der einmal unterbrochen wurde. Und dieses Unterbrochne, die Toreinfahrt, ist das Einzige, was noch steht. Ich hab gesehen, es hat nen Bombenschaden gekriegt. Und deswegen hat man einfach diesen Billigbau, was es ja ist, weggerissen, und das, was nicht getroffen wurde, stehen lassen. Und 1g, h und i war mal 1a bis x, tatsächlich durchnummeriert, 1a bis sonstwas.

M: Das ist sozusagen noch mal n Brennglas dieser gesamten Stadtentwicklungsgeschichte von vielen, oder einigen, ostdeutschen Innenstädten. Es gab erstmal nen urbanen Niedergang, und dann kam aber die Wende der Gentrifizierung. Die Lage dieses Hauses, direkt an der Rummelsburger Bucht, das ist eine der begehrtesten Lagen in Berlin...

A: Demnächst wird es tatsächlich irgendwann abgerissen. Das war schon immer das Argument. Die Pläne sind im Netz, die werden quasi rings um die Rummelsburger Bucht da alles wegbaggern und Wohnraum für weeßichnich 3, 4.000 Menschen schaffen. Nun kommen nun mal von überall alle her, wir sind nun mal Hauptstadt, der Wohnraum muss schon geschaffen werden, da bin ich auch erwachsener geworden. Freiräume und zugeschissene und zugewucherte alte Sportplätze, die nie wieder benutzt wurden, können jetzt als solches nicht stehen bleiben, das ist mir schon klar.

M: Wer hat Zugang zu den neu erschlossenen städtischen Räumen, das ist die Frage dann...


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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