Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs

Marcel: Wie verlief deine Comicsozialisation, wo kommt die Faszination dafür her?

Andi: Da hab ich der DDR zu danken, dass es keine Comics in dem Sinne gab. Ich hatte keine Westverwandtschaft, und ich hatte auch keine flatternden Hefte von irgendwelchen anderen Tanten oder Omas, die jenseits der Grenze gewohnt haben. Ich hatte Freunde in der Klasse, die hatten das zuhauf. Bei denen haben sogar die Kinderzimmer anders gerochen. Nach Hubba Bubba und Hitschler und Micky-Maus-Heften. Westdeutsche Druckverfahren hatten ganz eigene Gerüche. Und ich kam irgendwie bei unserm Grundschulfreund Enrico B. in die Bude, und das sah aus, als wär ich in irgend ’nem westdeutschen Kinderzimmer gelandet. Und was haben wir gemacht? Wir mochten den alle gar nicht so sehr. Wir haben den einfach besucht, haben uns in die Ecke gehauen und haben Micky Maus gelesen. Und dann war ich einfach fasziniert von Micky Maus, Fix und Foxi, und was es für bunte, krasse, geile Welten gibt – ich musste erst mal lernen, dass man von links nach rechts, und in der nächsten Zeile wieder von links nach rechts... Ich wusste gar nicht, wie man Comic liest. Mich hat das Medium einfach fasziniert. Und dadurch, dass es nicht wie heute, wo alles billigst und schnell und überladen zu haben ist... Ich hab es der Zeit zu verdanken, in der ich geboren wurde, plus der Verbote, es nicht kaufen oder konsumieren zu dürfen, dass ich zum Beispiel schon zu Grundschulzeiten eigene Comics gemalt habe. Eigene Hefte. Ich hoffe, meine Eltern waren so archivierwütig, mal so ganz, ganz krasse Comics dann irgendwie zu behalten, die ich mit sechs oder sieben gemalt habe. Ich hab Rätselseiten reingebaut, ich hab Storys mit verschiedenen Protagonisten reingebaut... Ich hab es aufgebaut wie ’n Micky-Maus-Heft.

M: Die hast du gar nicht selbst archiviert, die Sachen?

A: Ich bin da noch nicht so weit gewesen. Und das wär eigentlich heute mal ’n totaler Knaller, weil ich hab quasi als kleiner Zoni-Junge mir so ’ne Art Fix-und-Foxi-Micky-Maus-Sonstwas selber zusammengestellt.

M: Da würde ich jetzt auch gern mal reinlesen.

A: Ich weiß nicht, vielleicht ist es noch irgendwo zwischen alten Alf-Büchern im Keller. Aber es ist quasi tatsächlich den Verboten der Zone zu verdanken, dass ich das gelernt hab. Ich hab auch mit Pauspapier den Schnabel von Donald Duck so lange geübt, bis ich ihn im Kopf hatte. Den Schnabel, den Kopf, die Augen. Ich hab aus Knete Donald-Duck-Köpfe geformt. Und hab mir so kleine Knetmedaillons gemacht, so dass ich sowas wie im Westen zu Hause hatte. Ich hab Donald-Duck-Köpfe, Micky-Maus-Köpfe aus Suraline, Plasteline oder wie die Scheiße damals hieß, geformt. Dass ich so was hab, wie westdeutsche Kinder haben hinterhergeschossen bekommen. Und dadurch hab ich gelernt, wie man zum Beispiel Glasscheiben, Autos, Häuser... Ich hab diese gesamte Komposition und Erzählweise von Comics aufgesaugt. Ich hab ja auch von Rolf Kauka geklaut, ne? Ich meine, wenn ein Auto ’ne Straße lang rast, dann hebt das im Comic ab. Und hat Kondensstreifen dahinter. Das ist alles aus den Heften. Ich hab Freitage, Samstage lang, in dem Alter, wo man heute schon völlig verstrahlt mit Freunden durch Clubs zieht, bis in die Nächte, bis mir die Augen weh taten Bilder gemalt. Und dazu hat mich niemand gezwungen.

M: Und überhaupt die Kunst? Malerei?

A: Ich war fasziniert vom ölmalerischen Realismus. Wo jetzt zum Beispiel in der Abizeit Freunde, die im Kunstleistungskurs so von Expressionismus oder irgendwelchen anderen Sachen wie z.B. Munch und Impressionisten so fasziniert waren von Farben und Formen – fand ich alles langweilig. Ich fand die geil, die so realistisch wie möglich alles wiedergeben konnten. Und da wollte ich irgendwie hin. Hab auch selber mal bisschen mit Öl und Pastell experimentiert. Wenn ich mir das heute wieder ankucke, sieht das alles ein bisschen armselig aus. Das hatte für mich nie ’nen Karriereaspekt, ich wollte immer irgendwie – weiß ich nicht – Bau? Oder irgendwas. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man einfach nur mit geistigem Eigentum und blablabla Geld verdienen kann. Ich dachte, Arbeitengehen bedeutet, etwas zu schaffen, wo du abends zurückblicken kannst und sagen: Okay, die drei Reihen Mauer hab ich geschafft. So einfach hab ich gedacht. Ich hab viel später erst begriffen, dass man vom Zeichnen auch leben KANN.

M: Es gab ja in der DDR die Digedags und die Abrafaxe, die Comichelden vom Mosaik. Welche Rolle hat das Mosaik gespielt?

A: Gar keine. Also ich fands uninteressant, weil es erhältlich war. Es war für mich in der Form kein Comic. Der Zeichenstil, der war okay, aber Digedags und Mosaik und so, das waren Bilder und untendrunter waren halt die Dialoge und die Erklärschriften, und das hatte für mich irgendwie keinen Reiz. Ich wollte Sprechblasen.

M: Dich hat es ästhetisch nicht so gereizt wie das westdeutsche Ding?

A: Mich hat das westdeutsche Ding mit ganz anderen Farben und anderem Geruch und den ganzen knalligen kranken geilen Charakteren einfach fasziniert. Ich war 1988 im Chorlager mit meiner Mutter als Chorleiterin. Und da kam irgendwie – ich weiß nicht, wie das zustande kam – da kam ein Besuch einer Fraktion – die Grünen oder so – die kamen mit einem Bus an, sowas hab ich noch nie gesehen. Da gingen die Türen so langsam und lautlos automatisch auf, sowas haben wir noch nie gesehen. Und dann kamen die raus. Es sollte eigentlich gar keinen Kontakt geben, weil wir waren ja DDR, und die brachten Donald-Duck-Cartoons auf VHS mit. Ich hab ja keine Ahnung gehabt! Dass diese scheiß Viecher, die ich so geil fand, auch laufen konnten, und sprechen! Da bin ich völlig ausgeflippt. Und deswegen kam auch die Faszination für Trickfilm dazu.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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