Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original

Andi: Ich hab jetzt noch mal aus Versehen eine Seite aufgeschlagen: Da war so ’n Gag drin, der mich an mich selbst erinnert hat. Wo ich dachte, den musste reinbauen. Weil der so autobiografisch ist. Im Grunde genommen ist „Tempelhoven“ ne Ansammlung von 100 Gags, die mich selber betreffen, eingebettet in ne Story. Und die mussten alle sein. Es gibt zum Beispiel so ne Kauflandgeschichte, dass so meine Mitreisende in der Story sagt: Ja äh, du und deine Weibergeschichten, es gibt doch gar keine Weibergeschichten. Oder redst du schon wieder von der Rothaarigen im Kaufland. Haste die auch mal angequatscht oder bringst du da immer nur dein Leergut hin? Und die gabs wirklich.

Marcel: Du hattest nen Schwarm an der Kauflandkasse? Wars unsre Freundin Madlen?

A: Nee. Ne andere faszinierend aussehende, sehr sehr hübsche Frau. Und ich hatte nicht die Eier, irgendwas zu machen: „Hallo, ich häh äh äh...“, sondern ich bin immer nur mal vorbei an der und hab was in den Leergutautomaten reingeschüttet. Nicht sehr sympathisch.

M: Du hättest so Gemüse kaufen müssen. Single-Gemüse-Mengen.

A: Ein Freund meinte, quatsch die doch mal an. Ich so: Nee, will ni, trau mich ni und so. Ich will nicht wissen, wie viele Kerle sich selber drin entdecken, wenn se irgendjemanden im Einzelhandel faszinierend finden, sich aber nicht trauen, den anzuquatschen, aber sich erst recht nicht trauen, den anzuquatschen, weil sie da ständig ihre leeren Bierflaschen vorbeitragen.

M: Eh kuck mal, wie fleißig: 4 euro 80 nur Bierflaschen!

A: Es sind schon wieder Bierflaschen, die hab ich alle selber gekauft.

M: Oder gesammelt, in Friedrichshain...

A: Ja, der ganze einzelne Gag-Quatsch. Wenn wir „Tempelhoven“ komplett durchgehen würden, könnt ich dir wahrscheinlich ein paar Dutzend autobiografische Beispiele nennen, warum weshalb wieso.

M: Ja, weils halt auch wie ein Tagebuch funktioniert.

A: Was noch aufs Tonband muss: Ich bin wahrscheinlich schon vor der Hälfte der Story aus dem Hauptstraßenhaus ausgezogen. In ein viel bessres Haus, raus aus dem Ranz dort, war aber immer noch gern dort zu Gast.

M: Du bist sozusagen über dem Comic „erwachsen“ geworden...

A: Das ist tatsächlich so. Wenn du jetzt Seite 30 vergleichst mit Seite 110, ist der Spirit oder das, was ich rüberbringen will, ein komplett anderer. Am Anfang wollt ich die Hauptstraße-1h-und-i-Community feiern. Und vier Jahre später wollt ich das große Ganze und das... Wollt ich eigentlich – nichts mehr feiern. Stimmt. Ich wollte eigentlich dann GAR nichts mehr feiern, sondern nur noch eine Lebenssituation wie so ausm Tortenboden rausheben und sagen: Hier. So wars.

M: Apropos Authentizität. Passt auch zum Thema Bierflaschen: In der Geschichte spielt ne bestimmte Figur eine Rolle. Willst du zum Bier-Bernd noch irgendwas sagen?

A: Zum Bier-Bernd will ich sagen … Also wenn irgendwie – wenn der Regisseur vom „Tatortreiniger“ mit Bjarne Mädel vielleicht mal irgendwann was über nen Berliner Späti-Verkäufer drehen möchte, dann sollte er zu Bier-Bernd gehen. Weil genau dieses Lustige, Kaputte, aber auch krankhaft Verschwatzte, auch so bissel Ziellose – das ist Bier-Bernd. „Oah, scheiß Kapitalisten, örjendwann ey jag ick mal allet in die Luft, und dann zieh ick nach Thailand, ick sach dir, da is ne Menge Dschungel, da kann ick dann wohnen. Ick sach dir, ick werd ma zum Anarchisten.“

M: Du musst noch sagen: Er ist ein Späti-Verkäufer, der in diesem Haus-Ufo unten mit drin sitzt.

A: Richtig. Ich wollte mal spaßeshalber mit dem Comic einen Unesco-Weltkulturerbe-Antrag stellen für den kleinsten Kiez Berlins. Autark: zwei Häuser, ein Späti. Und Kultur im Hof. Das wars. Weil wir ja ringsrum keine Nachbarn hatten. Aber wie gesagt, die Gestalt ist verschwatzt, manchmal anstrengend, manchmal liebevoll. Komm ich mit meinem Sohn rein, und er so: Hey komm, hier und da! Und schenkt dem nen Lolli und quatscht mit dem und so, hier, und manchmal isser ganz entspannt, und manchmal ist er ganz unentspannt. Du gehst da rein und kommst nach ner halben Stunde mit den geplanten zwei Bieren wieder raus, danach weißt du, wer er ist. Er MUSS zu dieser Hauptstraße-1-Erzählung dazugehören. Er ist so wichtig wie son Backsteinziegel – wie irgendwie ein tragendes Element dieses Hauses da unten. Wenn der rausfliegt, ist das dort Ödland. Jedes Mal, wenn du dort dran vorbeiläufst, und da läuft dieser stumpfe Techno, und er sitzt in seinem Wohnsessel und spielt Minesweeper oder sonst was, und dann kommste rein: „Ah, mein Lieber, da biste wieder“, das hat irgendwas – da riechts nach DDR da drin, und das ist schon irgendwie geil. So.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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