Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land

Marcel: Das finde ich das Besondere an „Tempelhoven“: Du hast als einen der Protagonisten dieses unsanierte Haus, in dem die Geschichte beginnt und sich sozusagen die Stadtentwicklungseffekte der letzten 100 Jahre spiegeln. Oder sagen wir 80: Weltkrieg, DDR-Vergangenheit, wilde Zeit nach der Wende, die in so ner Art Anarchismus mündet – Letzteres ist das Zeitfenster, das in „Tempelhoven“ als Lifestyle dokumentiert ist. Der ist ja zeitgeschichtlich und biografisch auch eingeschränkt. Schließlich dann dieser Gentrifizierungseffekt. Das ist der eine erzählerische Anker dieser Geschichte. Der andere ist eben das Tempelhofer Feld. Ähnlich gelagert, nur dass es da eben um die Freifläche geht, nicht um irgendeine Art von Gebäude. Und zwischen den beiden machen sich so Möglichkeitsräume auf. Bzw. fügst du en passant in einer doch bisweilen auch albernen Story diese dokumentarischen Elemente ein. Hab ich das jetzt gut auf den Punkt gebracht?

Andi: Ziemlich. Ja. Im Buch wird das Tempelhofer Feld plötzlich zu ner riesigen, klumpigen, unkontrollierten Wagenburg, die irgendwie friedlich koexistiert. Aber ich handle nicht wirklich ab, WIE sie existiert. Also Wasser- und Abwassergeschichten... Ich hab jetzt das mit den Klos erfunden, weil ich hab mir mal von nem Wagenburgler sagen lassen, das größte Problem bei alternativen Lebensmöglichkeiten ist die menschliche Scheiße. Wenn das nicht geklärt ist, wird’s schnell ungemütlich im Punkerdorf.

M: Was ist aber die Zukunft des Tempelhofer Feldes?

A: Die Zukunft des Tempelhofer Feldes ist bisher der Istzustand. Was sehr überraschend ist für Berlin und sehr großartig. Wenn du da in der Mitte mal stehst und dich umkuckst... Man denkt immer so: Was wolln denn die alle mit diesem riesigen, großen, schattenlosen Feld. Aber es hat was von der Erholung, wie wenn du in Mecklenburg auf dem Feld stehst. Du stehst halt in einer Stadt, und man kann es nicht richtig erklären, aber wenn du so 17, 18 Uhr im Sommer, wenn die Sonne gülden wird und du auf so nem Strohballen sitzt und dir dann irgendwo im Biergarten noch ne Wurst holst und dann irgendwo langskatest und du dich irgendwo auf ne Wiese krachst, und kuckst mal so weit, bis du keine Häuser mehr erkennst, dann hat das auf den menschlichen Geist durchaus ne erholsame Wirkung, die unbezahlbar ist. Und deswegen sollte man das dort so lassen. Obwohl Berlin wahnsinnig teures Bauland ist.

M: Jetzt mach aber nicht zu viel Werbung für Berlin. So war es ja bei den ganzen „Hypezig“-Geschichten. Es stand ein bisschen zu oft in der FAZ, wie geil Leipzig auch gegenüber Berlin schon ist, und dann haste halt die lückenlose Bebauung, dann haste die Mietsteigerungen um 100, 200 Prozent, dann haste plötzlich die Verdrängung...

A: Ich sag ja nicht, dass das geil ist. Es ist ja nicht geil, wenn du drei Stunden mit der S-Bahn an Häusern entlang fährst. Das ist nicht wünschenswert. Aber deswegen gibt’s ja auch die Story mit dem: Jetzt kommen mal Leute ohne Geld und setzen sich hier mitten in die Mitte rein. Und probieren was Neues.

M: Das ist ja ne Utopie. Das ist ja das, was nicht mehr passieren kann aufgrund dieser Entwicklungen. Die Leute werden nach außen verdrängt.

A: Richtig. Das ist ne Utopie.

M: Ist für dich Landflucht ne Option? Ich meine Flucht aufs Land... Oder irgendwas im Grünen? Du bist ja jetzt in dem Alter.

A: Noch nicht, denn im Grunde genommen verdank ich ja Berlin diese Story. Und ich hab dir ja auch vor Jahren mal gesagt, dass wenn ich jetzt zu früh oder zu überstürzt mir son Dreiseitenhof an die Backe nagel, den ich teuer sanieren muss, bis ich alt werde: Irgendwann wird Urlaub zum Alltag und ich langweile mich. Oder ich baue nur noch oder renoviere oder halte instand, und mir fehlt dann wahrscheinlich einfach die soziale Komponente oder die Spaziergänge durch Kreuzberg, die man ab und zu mal braucht. Ich nehm auf gar keinen Fall mehr teil an dem ganzen Clubbing, an den ganzen Partys... In was für ner Friedrichshainer Bar – außer dem Kino Zukunft – hastn du mich in den letzten zehn Jahren mal gesehen? Es ist einfach nur: Ich lauf durch und saug auf. Es ist interessant, es ist verrückt, es ist laut, es ist ziemlich unstrukturiert. Und davon zehr ich auch ein bisschen, und kann aber auch umkehren und geh nach Hause in mein kleines Viertel, was zauberhaft ruhig ist. Die Vorstellung, da in der Geräuschkulisse auch zu wohnen... Das wäre für mich jetzt irgendwie auch nichts. Ne?

M: Stimmt, du hast vor Jahren mal gesagt, wenn du jetzt aufs Dorf ziehen würdest, würdest du nur noch Hühner zeichnen...

A: Man verführt sich auch ab und zu mal in diesen Gedanken: Wagenburg, wovon ichs vorhin hatte. Manchmal kucke ich gelangweilt, aber nicht sehr oft, na ab und zu mal nach irgendwelchen LKWs oder Bauwägen oder alten Doppelstockbussen, und dann träum ich mal von ner Wiese, wo ich das Ding hinstelle, das Ding ausbaue und fast drin leben kann auf 50qm. Das sind so kleine Träumereien. Wenn einen die nicht loslassen, macht man das irgendwann.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

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