Andi Meier über "Tempelhoven"

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TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt

Marcel: Ich möchte jetzt noch was wissen zur Form von „Tempelhoven“. Das ist ja nicht so klassisch vorgezeichnet, umgearbeitet, mega komponiert, dann noch mal fein getuscht. Du hast das mehr oder weniger als One-Shot über einen verdammt langen Zeitraum Stück für Stück ausgeschissen. Und so ist das jetzt auch gedruckt.

Andi: Es gab so ne mitschwimmende Angst, dass ich das, was ich gerade in meinem Kopf habe, zu vergessen drohe. Ich hab losgelegt, losgelegt, losgelegt, und irgendwann hat es ein Entwicklungsstadium gehabt, wo ich mir dachte: Alter, das müsstest du jetzt alles noch mal inken, und am Ende auch noch färben. Ich meine, der Ruf dahin ist mir schon bewusst. Wenn ich in den Comicladen gehe und sehe ein schönes, ge-inktes Comic mit schönen Farben, da bin ich auch so leicht empfänglich für. Als wenn ich ein alternatives B-Produkt – ich will das jetzt nicht runterschrauben, aber so: schwarz-weiß und ein bisschen schwermütig und ein bisschen die Graphic-Novel-Kultur, was ein bisschen so aussieht wie mit dem Fuß gemalt, aber mit viel mehr Content – bin ich gar nicht so der Vertreter dafür. Ich bin ja eher der Vertreter des klassischen Comics, mit ner Einleitung-Hauptteil-Schluss-Geschichte. Das merkt man ja auch am Inhalt von „Tempelhoven“. Aber dass das Ding jetzt nicht mit 18 Farben und Tinte glänzt, ist schlicht und ergreifend ein Faulheit- und Zeit-Problem. Liebend gern würde ich, wenn ich die Zeit anhalten könnte, mich nochmal drei Jahre irgendwohin setzen, das Ding mit Tusche nachfärben und ordentlich Farbe reinkrachen. Aber ganz ehrlich, müsste ich dafür drei Jahre anhalten. Denn tu ich die nicht anhalten, haben wir 2021 und ich release den Comic „Tempelhoven“ mit Wowereit als Bürgermeister.

M: Aber findest du nicht, das hat einen ganz eigenen Reiz dadurch?

A: Ich hab während der Entwicklungszeit auch mal Leute reinkucken lassen, und die haben gesagt: Weißte, was ich geil finde? Den Rotze-Strich und die Schrift. Es gab auch Kollegen, die haben sich mal zwei Seiten genommen, haben die Schrift rausgehoben und haben die alternativste Schrift, die sie finden konnten, reingetippt und haben gesagt: Weißte was? Sieht scheiße aus. Mach mal so weiter. Theoretisch ist es so, dass du hier gerade sehr naiv und unerfahren rangehst, weil eigentlich – lass das Ding mal einen Kracher werden in Holland – aber das hat mich erstmal alles nicht gekümmert. Das Ding musste erstmal n Kracher für mich werden. Also hab ich losgezeichnet, um nicht durcheinanderzukommen, weil ich komme schnell durcheinander in dieser Hinsicht. Wenn mir drei Sachen auf einmal kommen, werde ich ein bisschen fuchsig. Ich brauchte das alles als One-Layer, für meinen KOPF. Und deswegen hab ichs quasi als One-Layer gezeichnet. Und hab mir immer im Hinterkopf für zehn Prozent behalten: Na ja, vielleicht ist es ja die Vorlage, für den „echten“ Comic. Aber gehen wir mal weiter, weil sonst vergesse ich meinen nächsten Gedanken.

M: Es kriegt dadurch was extrem Notizenhaftes. Wie war überhaupt die Entstehungsweise, alles Seite für Seite gezeichnet – das ja, aber auch erzählt? Ich frag mich, wie sich das dramaturgisch halten konnte. Wie konntest du so eng bei der Erzählung bleiben, ohne abzuschweifen, abzudriften, zu viele Längen drin zu haben?

A: Es gibt nen Zeitstrahl auf nem Collegeblock, der mich immer daran erinnert: Okay Andi, um auf 100 Seiten zu kommen, hast du jetzt eine Spannweite von ungefähr zehn bis zwölf Seiten, um DEN Teil der Story zu erzählen. Dann musst du damit fertig sein. Um dann wieder dort anzusetzen, wo du vor diesen zehn Seiten warst.

M: Aber du hast ja z.B. auch sowas wie „Säen und Ernten“: Du hast irgendwo ne Anspielung auf irgendwas, und 50 Seiten später kommst du darauf zurück. Wenn man das in einem Rutsch durchliest, hat man die Verbindung. Nun ist dieses Buch aber – weiß nicht, in fünf Jahren entstanden?

A: Ja, ja, vier, fünf so. Weil man das, was man selber gezeichnet hat und schon auf Papier ist, wie auf so ner Festplatte schon im Kopf hat. Und ich bin auch viel Selbstgespräche führend Kreise in meinem Zimmer gelaufen, feierabends, um dann weiterzuspinnen. Das war meine Form von Arbeit, dass ich dann manchmal auch mit Musik im Ohr tatsächlich Rillen in meinen Teppich gelaufen habe, um zu sagen: Moment, ich hatte doch – und da gabs tatsächlich Momente: Ah, Scheiße, du hast DAS gemacht, da kannste ja nicht DAS machen oder so. Ich wollte tunlichst Schnittfehler vermeiden. Wenn du sagst: Ich staune darüber, dass du chronologisch aberzählst und Sachen rückwärts nicht vergisst. ICH wiederum staune, wie Filme gedreht werden. Wir drehen das Ende zuerst, die Mitte danach, und dann machen wir nen Flashback, da lässt sich der Schauspieler nen Bart wachsen, den er in der Handlung zehn Jahre zuvor hatte... Und das dann zusammenzufügen und nicht wahnsinnig zu werden, ist eine Denkweise, die ich nicht nachvollziehen kann, weil ich sie nicht KANN. Was ich bewundere. Weil, es gibt ja auch Leute, die sagen, wenn du mal keinen Bock auf DAS hast, fang doch mal schon bei DEM Punkt auf Seite 50 an. Das geht nicht. Das könnte ich NIEmals.

M: Und wie lief denn da die dramaturgische Planung mit dem Storyboard?

A: Ich hatte tatsächlich zwei Collegeblocks vollgeschribbelt, da hast du zum Beispiel so ne karierte Seite, da hab ich mit der Faust eher so die Seite angedeutet und hab die Panels vorgeplant: Hier trifft der die, den, sagt DAS, dann treffen die DEN, der kuckt overshoulder zu DEM, sagt DAS, und dann ist die Seite vorbei, und das alles musst du in die Seite packen. Die Dialoge hab ich an den Rand geschrieben, hab gesagt: Okay. Das muss alles in der Seite passieren, also schieb ich das ganze Panelsystem, dass das jetzt auf Seite – pffff... 16 passiert. Damit ich mich nicht verliere. Kleine einseitige rotzige Planungen. Und dann von der Planung aus, damit ich jetzt nicht anfange und sage: Ooohch, fuck! Weeßte?

M: Warum hats eigentlich so lange gedauert?

A: Weil ich kein wahnsinniger Soziopath bin, der nur zeichnet und immer in Kreisen denkt, sondern ich bin auch jemand, der normal lebt, mal im Sommer die Beine lang macht, gar nix macht, und auch mal bissel nachdenkt und auch mal so bissel Kind erzieht, auch mal Urlaub hat, auch mal krank war, und auch mal lange Pause gemacht hat. Ich hab nicht fünf Jahre lang dran gezeichnet, wenn mans komprimiert und jede kreative Pause und Rauchpause abzieht, wär das Ding auch in zwei Jahren gerissen geworden. Ich wurde dafür ja quasi auch von keiner Seite subventioniert. Ich wurde motiviert. Und das war alles, das reicht dann aber auch schon. Ich weiß gar nicht, ob es so gut gewesen wäre, wenn jetzt irgendjemand gekommen wäre mit ganz viel Geld, der gesagt hätte: Ey, ist das geil, mach das mal, hier ist das Geld zum Leben, setz dich hin, machs fertig. Ich weiß nicht, ob mir das geholfen hätte oder das besser geworden wäre. Was da drinne ist, sind ja quasi rausgekotzte Impressionen aus meinem Kopf, die ja irgendwo gesammelt werden müssen. Die kann ich ja nur sammeln, indem ich lebe. Und wenn ich lebe, kann ich nicht nebenbei stakkato unter nem Baum sitzen und zeichnen.

M: Find ich auch arbeitsethisch ne interessante, begrüßenswerte Position. Ich muss mal pissen, du brauchst ein neues Bier.


-> TEIL 1: Wie man mit Comics Krisen überwindet
-> TEIL 2: Über Klischees und steigende Mieten
-> TEIL 3: Von coolen Leuten in einem unsanierten Ufo
-> TEIL 4: Zwischen Tempelhofer Feld und Flucht aufs Land
-> TEIL 5: Über die Kunst, in einem Bild eine ganze Geschichte zu erzählen
-> TEIL 6: Fix und Foxi und ein kleiner kunsthistorischer Exkurs
-> TEIL 7: Wie man die Geschichte aufs Papier kriegt
-> TEIL 8: Autobiografische Gags und ein Berliner Original
-> TEIL 9: Die Liebe (Achtung, so ne Art Spoiler)

"Tempelhoven" Vorschau

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